Die Abschaffung1 der Wehrpflicht ist eine tiefe Narbe auf der konservativen Seele in Deutschland. Die #Geisterdebatte über ihre Wiedereinführung riss daher auch nach 2011 niemals so richtig ab. Mit der #Zeitenwende ist alles etwas anders geworden. Ok, so wie der Kanzler bei der Verteidigung der #Ukraine auf der Bremse steht, ist es eher ein Zeitenwendchen, aber das hindert Bundesverteidigungsminister Pistorius (SPD) jetzt nicht daran ebenfalls eine Wiedereinführung der Wehrpflicht zu fordern. Dabei muss man ihm lassen, dass er eine anhaltende Berichterstattung und Debatte in den Meinungsseiten über das Thema produziert.
Leider ist die Art und Weise wie die Debatte geführt wird eher platt und wenig konstruktiv. Nun bin ich wahrlich kein Freund der Wehrpflicht, aber bei Weitem auch kein Pazifist. Ich sehe, dass die Bedrohung durch Putins faschistisches #Russland leider viel zu real geworden ist und man sich dem Problem des Personalmangels bei der Bundeswehr auch nicht einfach verschließen kann. Daher möchte ich in diesem Artikel aus den Aspekten der öffentlichen Debatte einen konstruktiven Vorschlag erarbeiten.
Was nicht geht
Das (alte) deutsche Modell der Wehrpflicht
So wie die Debatte gerade geführt wird, sollten wir erst mal rekapitulieren, warum die Wehrpflicht überhaupt abgeschafft wurde. In einer Art Mandela-Effekt scheinen viele Leute in den Kommentarspalten zu glauben, die SPD, die Grünen oder irgendeine andere links-pazifistische Gruppe hätte sich hier durchgesetzt.
Tatsächlich wurde die Wehrpflicht 2011 auf Initiative des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) unter einer schwarz-gelben Koalition abgeschafft. Die Gründe dafür waren, dass die Bundeswehr weder die Strukturen noch den Bedarf für eine hohe Zahl an Wehrpflichtigen hatte. Entsprechend wurde nur ein Bruchteil eines Jahrgangs überhaupt eingezogen. Das war jedoch ein Verstoß gegen die #Wehrgerechtigkeit und damit ein Verfassungsbruch. Und viel zu teuer war die Wehrpflicht auch noch und wir mussten ja sparen.
Diese Situation hat sich seitdem eher verschärft als entspannt. Die Strukturen der Bundeswehr wurden verschlankt. Die Kasernen, auf denen sich einst die Wehrpflichtigen vor Langeweile dem extremen Alkoholkonsum hingaben, wurden durch Wohnhäuser für Zivilisten ersetzt. Und von der Unzahl an Kreiswehrersatzämtern ist auch nicht mehr viel über. Gleichzeitig können wir das Geld an so vielen Stellen besser gebrauchen – auch bei der Bundeswehr.
Die allgemeine Dienstpflicht
Als eine Möglichkeit das Problem der Wehrgerechtigkeit zu umgehen, wird immer wieder die allgemeine Dienstpflicht ins Spiel gebracht – gerne auch mal mit Worten wie #Pflichtjahr. Die Idee scheint simpel, jeder Mensch soll in seinem Leben ein Jahr etwas “für die Gesellschaft” machen. Da kann doch niemand was dagegen haben, oder? Und so kommt man ganz einfach um das Dilemma mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz, alle müssen ja ran.
So einfach ist es leider nicht. Die Wehrpflicht hatte einen guten historischen Grund – den “Bürger in Uniform”, statt den “Staat im Staat”. Alle Ersatzdienste waren explizit an die Wehrpflicht gekoppelt. Eine allgemeine Dienstpflicht ist aber eine zutiefst autokratische Idee, nämlich nichts anderes als Zwangsarbeit – und als solche auch nach der Europäisches Menschenrechtskonvention explizit verboten.
Ds klingt für manche vielleicht schräg - man tut ja was “für die Gesellschaft” – aber es zeigt sich halt schnell, dass dazu was denn ein Dienst “für die Gesellschaft” ist, völlig unterschiedliche Meinungen herrschen. Der eine geht zum Bund, die andere zum THW, der nächste hilft Flüchtlingen, eine andere kleibt sich gegen den Klimanwandel auf die Straße. Was “für die Gesellschaft” ist, ist eine zutiefst persönliche Entscheidung. Ich selbst würde sogar soweit gehen, dass eine Ausbildung zu machen, um ein produktiver Teil dieser Gesellschaft zu werden, eben auch “für die Gesellschaft” ist.
Wenn da nun aber Wahlfreiheit herrschen würde, können wir uns die Dienstpflicht auch sparen. Den Befürwortern schwebt höchst wahrscheinlich eine abgeschlossene Liste von möglichen Pflichtdiensten vor (und auf die Straße kleben ist da sicher nicht drauf). Da wird dann aber aus “mach was für die Gesellschaft” schnell “mach was das ich als gut für die Gesellschaft erachte”. Und genau das ist Zwangarbeit und die ist in einer Demokratie zurecht verpöhnt und verboten.
Das schwedische Modell
Nun scheint auch Boris Pistorius zu wissen, dass die beiden oberen Vorschläge schon allein an den juristischen Hürden scheitern. Er hat daher eine neue Idee ins Spiel gebracht, das sog. schwedische Modell. Schweden hatte die Wehrpflicht ebenfalls abgeschafft, aber nach der Annexion der Krim reformiert und wieder eingeführt. Die Parallelen zu Deutschland kann man also schon sehen, also warum nicht machen wie Schweden?
In Schweden müssen geschlechtsunabhängig alle Volljährigen einen Fragebogen ausfüllen. Auf dieser Basis soll ein etwa Drittel zur Musterung geladen werden, sodass (auf lange Sicht) ca. 10% eines Jahrgangs eingezogen werden. Aktuell ist die Zahl der Einberufenen noch geringer und die Wehrbereitschaft hoch, sodass sie nur aus Personen besteht, die tatsächlich Interesse am Dienst hatten.
Schweden hat mit diesem Modell anerkannt, dass über den Bedarf der Streitkräfte hinaus Wehrpflichtige einzuziehen nicht sinnvoll – ja sogar gesetzeswidrig – ist. Hier sieht man grundlegende juristische Unterschiede zu Deutschland und der verfassungsgebotenen Wehrgerechtigkeit. Das schwedische Modell können wir hier so also auch nicht umsetzen.
Was geht
Die juristischen Hürden Wehrgerechtigkeit und Verbot der Zwangsarbeit sind mit den tatsächlichen Anforderungen der Bundeswehr schwer bis gar nicht vereinbar – zumindest nicht mit einem Pflichtdienst. Eine Lösung muss also schlussendlich weiterhin auf Freiwilligkeit beruhen. Der ein oder andere konstruktive Aspekt lässt sich aus den Vorschlägen dennoch extrahieren.
Die Bewerbungspflicht und der allgemeine Gesundheitstest
Der Teil des schwedischen Modells, der sich durchaus mit dem deutschen Recht vereinbaren lässt, ist der erste Schritt: Die Pflicht zur Bewerbung. Mit der Bewerbung müssen sich alle zumindest einmal mit dem Gedanken eines Dienstes bei der Bundeswehr auseinandersetzen. Klar, wer ums Verrecken nicht hin möchte, klickt einfach irgendwas an und lehnt jedes Angebot ab. Diese Leute kann man aber so oder so nicht für die Bundeswehr erreichen. Für alle anderen ist die beste Strategie eine ordentliche Bearbeitung des Fragebogens. Warum sich ein gutes Angebot entgehen lassen, wenn man die volle Freiheit hat, es anzunehmen oder abzulehnen?
Die Angebote müssen natürlich attraktiv sein: Sold, Ausbildung und Karriereoptionen, Vorteil für die Zeit nach dem Dienst, unterm Strich halt ein schöner “Goodiebar”. Die Zeiten, zu denen Wehrdienstleistende für einen Hungerlohn in der Kaserne gammeln, müssen vorbei sein. Die Bundeswehr hat eh keinen Bedarf an Stubenhockern. Aber wenn tatsächlich bei jemandem ein passendes Angebot erst mal auf dem Tisch liegt, ist eine riesige Hürde schon genommen.
Darüber hinaus würde ich auch den Großteil Musterung komplett abschaffen und durch einen allgemeinen Gesundheitstest ersetzen. D.h. kurz vor der Volljährigkeit machen alle eine umfassende standardisierte Untersuchung – bei einem selbst gewählten Arzt, nicht bei einem Klötenfummler im Kreiswehrersatzamt. Das Ergebnis wiederum ist ein detailliertes Zeugnis über die eigenen gesundheitlichen Fähigkeiten, nicht nur ein simpler Tauglichkeitsgrad. Hierbei ist die Privatssphäre des Patienten zu wahren, ähnlich wie die Untersuchungen bei einem Betriebsarzt; Befähigungen ja, Diagnosen nein.
Das Gesundheitszeugnis wird zusammen mit der Bewerbung bei der Bundeswehr eingereicht und hilft dieser bei der gezielteren Personalauswahl. Die jungen Menschen haben – neben der medizinischen Beratung während der Untersuchung – wiederum eine Möglichkeit das Zeugnis auch für andere Fälle zu verwenden, z.B. für zivile Karrieren. Ein Nachweis über die Befähigung mit schwerem Atemschutz zu arbeiten hilft vielleicht bei der Bewerbung in einem Chemiebetrieb, einer über gutes Sehvermögen bei der Suche nach einer Pilotenausbildung.
Diese beiden Ansätze helfen geeigneten Bewerbern und der Bundeswehr zusammenzufinden, sind aber deutlich effizienter als eine Wehrpflicht. Die Bewerbung kann gut standardisiert, digitalisiert und automatisiert werden – Schweden hat’s vorgemacht. Und die Bewerbung lässt sich auch leicht für andere Freiwilligendienste nutzen. Beim allgemeinen Gesundheitstest gibt es viele Synergien mit betriebsärztlichen Leistungen.
Wehrdienst in Teilzeit als Zivilist
Als zweites Standbein neben den beiden oberen Maßnahmen möchte ich noch den Elefanten im Raum ansprechen. Für viele Leute ist die Idee eines Wehrdienstes immer noch abschreckend. Ich glaube das liegt mindestens and zwei Gründen: Dem Zeitverlust und dem Gehorsam.
Zum einen lässt sich ein Dienst für viele nicht so gut in die eigene Lebens- und Karriereplanung integrieren und die Zeit beim Bund ist verschwendet – sowohl für die Person selbst, als auch für die Gesellschaft. Und man darf dabei nicht vergessen, dass der Verlust immer am Karriereende gemessen werden muss. Die Gesellschaft verliert nicht die Produktivität des Arbeitsjahres eines Medizinstudenten, sondern vielleicht eines spezialisierten Herzchirurgen.
Zum anderen sind Soldaten während ihres Dienstes zum Gehorsam verpflichtet, ein Konzept das bei vielen zurecht Angst auslösen kann. In jedem Job kann man schlechte Kollegen und/oder Vorgesetzte haben, aber bei einem Dienst als Soldat ist man denen im Zweifel ausgeliefert – man kann ja nicht einfach mit Kündigung drohen.
Ich weiß, dass es für viele Militärtraditionalisten sicher eine ungeheuerliche Frage ist, aber was wäre, wenn wir solche Hürden abbauen? Wenn wir uns zum Beispiel Zivilschutzorganisationen wie das THW oder die freiwilligen Feuerwehren ansehen, werde diese ja gerne als andere Beispiele für “Dienst an der Gesellschaft” herangezogen und die scheinen nicht die gleichen Personalprobleme zu haben wie die Bundeswehr. Sie haben aber eben auch nicht die beiden oben genannten Hürden.
Als ein Modell könnten wir spezielle Heimtschutzeinheiten etablieren, z.B. eine in jedem Landkreis. In diesen kann man in “Teilzeit” Wehrdienst ableisten, z.B. an sechs langen Wochenende im Jahr über fünf Jahre hinweg. Das ist mehr Zeit als eine dreimonatige Grundausbildung, aber durch die “Spaced Repitition” sogar noch nachhaltiger. Am Ende ist es ähnlich wie bei einem Reservistenverband.
Für diesen Dienst gibt es einen ähnlichen Goodiebag wie für einen regulären Dienst – natürlich bemessen auf die reduzierte Zeit, die man investiert. Gleichzeitig geht man dort als Zivilist hin. Man kann jederzeit hinschmeißen, wenn man will und muss den Goodiebag dann halt zurückgeben.
KIar, die Qualität der Soldatenausbildung ist nicht mit einem regulären Dienst vergleichbar. Fokusiert man die Zeit aber auf die Verteidigung des eigenen Wohnorts hat man (sofern das Modell erfolgreich ist) einen guten Pool an Unterstützungstruppen, die den regulären Einheiten den Rücken freihalten können. Die Territorialverteidigung der Ukraine ist da ein gutes Vorbild. Dort hat sich im Verteidigungsfall eine hohe Zahl an Freiwilligen gefunden.
Für manche Menschen kann ein solcher “Wehrdienst light” auch als Schnuppereinstieg für einen regulären freiwilligen Wehrdienst fungieren. Den Kern der lokalen Heimschutzeinheiten werden vermutlich Berufssoldaten bilden. Diese hätten dann neben der militärischen Ausbildung und Organisation auch die Aufgabe, unter den Teilzeitreservisten gute Kandidaten zu finden, denen die Bundeswehr ein Angebot für einen regulären Dienst machen kann.
Zusammenfassung und Fazit
Ein Pflichtdienst ist im Deutschland des 21. Jahrhunderts sowohl juristisch als auch praktisch so gut wie unmöglich. Was wir uns von Schweden aber tatsächlich abschauen können ist, dass der “Schatz” an potentiellen Freiwiligen vielleicht gar nicht so klein ist, wie es aktuell aussieht. Wir müssen uns drauf konzentrieren diesen Schatz zu heben.
Dafür gibt es drei Hebel. Zum einen abgeschwächte Pflichten wie die Bewerbungspflicht. Zum anderen attraktive Anreize für einen freiwilligen Dienst. Und schließlich einen Abbau von Hürden für einen Wehrdienst z.B. durch einen “Wehrdienst Light”. Die Liste ist natürlich nicht abschließend, aber eine tatsächliche Lösung finden wir nur durch ein Potpurri an praktikablen Maßnahmen, nicht durch ziellose Grundsatzdebatten.
Korrekterweise “Aussetzung” für die Freunde der juristischen Spitzfindigkeiten.
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