Warum die “Letzte Generation” auf dem Holzweg ist

Einleitung

Angefangen hat alles mit einem Hungerstreik vor der Bundestagswahl im Sommer 2021. Klimaaktivist*innen wollten damit die Kanzlerschaftskandidat*innen zu einem Gespräch über die Klimakrise bewegen. Scholz willigte einem Gespräch nach den Bundestagswahlen ein. Im Janaur 2022 begannen nun Straßenblockaden mit dem Ziel, ein “Lebensmittelrettungsgesetz” zu verabschieden. Dabei kleben sich Menschen teilweise fest, um ihre Räumung zu erschweren und so möglichst lange Staus zu verursachen. Diese Protestformen finden natürlich nicht alle gut, wen wunderts, vor allem Rechte und Konservative nicht. Aber auch aus linksradikaler Sicht ist die “Letzte Generation” kritikwürdig, daher werden im Nachfolgenden einige Punkte ausgeführt.

Blockieren der falschen

Straßenblockaden sind natürlich nicht die einzigen Aktionsformen der “Letzten Generation”, aber doch die dominanteste und die am meisten aufgegriffene. Bei diesen werden meistens im Berufsverkehr wichtige Straßenkreuzungen und Autobahnabfahrten blockiert, was die Blockierten sichtlich nervt und manchmal sogar zu gewalttätigen Übergriffen führt. Aber wer sind die Blockierten? Dass ein Ulf Poschardt blockiert wird ist die Seltenheit, meistens sind es dann doch nur ganz normale Menschen auf dem Weg zur Arbeit. Jetzt könnte man natürlich argumentieren, dass es auf einem toten Planeten keine Jobs mehr gibt (was ja auch stimmt), aber solche Blockaden verursachen spürbare materielle Schäden für Arbeiter*innen: Die im Stau verbrachte (nicht-) Arbeitszeit muss nachgeholt werden, was im Endeffekt weniger Freizeit vom kapitalistischen Lohnarbeitsalltag bedeutet. Kann das wirklich ein erstrebenswertes Ziel sein? Wären die Blockaden vor den Ministerien oder vor Industrieanlagen, sähe die Sache ganz anders aus. Die Straßen in Berlin sind nicht der “Ort der Zerstörung” und auch kein Ort, an dem die Zerstörung beschlossen und vorbereitet wird.

Mantra der Gewaltlosigkeit

Ein immer sich wiederholendes Mantra der “Letzten Generation” und auch von Extinction Rebellion (XR) ist der des “friedlichen” und “gewaltlosen” Protestes. In letzter Zeit kommt in der Debatte auch noch der Begriff der “friedlichen Sabotage” vor. Friedlich und gewaltlos, hört sich erstmal gut an? Dieses Dogma lässt aber einige Dinge außer Acht. Die Philosphie von XR besagt, dass friedlicher Protest von sozialen Bewegungen statistisch gesehen erfolgreicher ist gewalttätiger Protest, die viel zitierten Studien dazu sind aber längst wiederlegt. Das heißt nicht, dass Gewalt generell zu befürworten ist. Auch wird sich auf (den Rassisten) Gahndi und Martin Luther King berufen. Die Schwarze Bürgerrechtsbewegung hatte aber neben Martin Luther King noch eine wesentlich radikalere Flanke, die Black Panther Bewegung, die nach der Ermordung von Malcolm X entstand. Sie war es, die die US-Regierung unter Druck setzte und, um den Konflikt zu befrieden, ging diese teilweise auf die Forderungen der liberalen Bürgerrechtsbewegung ein. Aber auch aus anderen Gründen ist das Dogma des “gewaltlosen Protestes” abzulehnen. Einmal wäre da noch die (ewige) Frage, an welchem Punkt Gewalt anfängt. Neben physischer Gewalt (wo die Grenze noch relativ unstrittig ist), gibt es auch psychische Gewalt. Ist es etwa keine Form von psychischer Gewalt, wenn ein (absichtlich provozierter) Stau mir Stress verursacht, weil ich meinen Zeitplan nicht einhalten kann? (Natürlich ist der Stau nur der Auslöser für den Stress und nicht die Ursache, die meistens Kapitalismus heißt.) Und zu guter letzt ist das Dogma “Gewaltlosigkeit” ein Schlag ins Gesicht all jener, die tagtäglich gegen die Gewalttäigkeit der Klimakatastrophe, ihren Folgen und ihren Ursachen kämpfen. Das sind zum einen Indigene, die sich gegen die Zerstörung ihrer Lebensräume zur Wehr setzen, zum anderen aber auch Aktivist*innen aus dem globalen Norden, die es vorziehen, die Zerstörung (die auch weiterhin hier stattfindet) selbst zu beenden. Es kann doch nicht der Anspruch sein, überall Gewaltlosigkeit zu fordern, wenn die Gegenseite dafür umso gewaltvoller agiert. Oder sollen wir den Menschen in Rojava sagen, dass sie jetzt nur noch Sitzblockaden gegen türkische Panzer und Artillerie machen dürfen, weil das der reinen Lehre entspricht und sie ansonsten unsere Unterstützung verlieren? Fakt ist, die Klimakrise und der Kapitalismus sind (auf unterschiedliche Weise) gewalttätig. Ehrlicher wäre es, dies anzuerkennen und gleichzeitig zuzugeben, dass auch die eigenen Aktionen eine gewisse Form von Gewalt sind, die aber notwendig ist, statt dogmatisch auf “Gewaltfreiheit” zu pochen.

Appelle an die Politik

Die “Letzte Generation” stellt mit ihren Aktionen auch immer Forderungen auf, welche hauptsächlich Appelle an die Politik sind, doch jetzt endlich mal bitte ordentliche Politik zu machen. Im Winter war der Fokus noch ein “Lebensmittelrettungsgesetz”, um Lebensmittelverschwendung einzudämmen, heute ist die Forderung, keine neue fossile Infrastruktur mehr zu bauen. Dabei werden Politiker*innen auch direkt addressiert, z.B. dass Robert Habeck verkünden solle, dass nicht mehr nach Öl in der Nordsee gebohrt werden soll. Teilweise sind auf Schildern bei Straßenblocken Bilder von Olaf Scholz zu sehen mit dem Spruch “Gesucht: Klimakanzler”. Dies suggeriert, dass die Regierung prinzipiell dazu in der Lage wäre, die Klimakatastrophe zu lösen, wenn sie denn endlich mal die Probleme anpacken würde. Gleichzeitig degradiert sich die Menschen von der “Letzten Generation” zu reinen Bittsteller*innen an die Politik und entlarven dabei ihr bürgerliches Politikverständnis. Auch spielen grundlegende Kritik am Herrschaftssystem und am Kapitalismus keine Rolle. Eine Utopie wird nicht gezeichnet.

Das passt auch gut in das Narrativ der Aktionen, die vor allem Aufmerksamkeit erregen sollen, ganz egal wie vermittelbar diese auch sein mögen. Statt zu den Orten der Zerstörung zu gehen und “den Klimaschutz selbst in die Hand (zu) nehmen”, werden Aktionen scheinbar willkürlich und zusammenhangslos mit den Forderungen gemacht. Was hat eine Autobahnblockade mit der Forderung zu tun, Containern legal zu machen? Es erzeugt Aufmerksamkeit, aber einen Blumentopf kann man damit nicht gewinnen. Die Forderungen werden meist emotional vorgetragen und an die Moral der Politik appelliert. Das Problem: Moral ist den herrschenden Politiker*innen ziemlich egal. Wäre das anders, würden Geflüchtete im Mittelmeer nicht sterben. Es hilft also überhaupt nicht, an die Gefühle der Politiker*innen zu appellieren, dass diese jetzt doch bitte mal mehr Häuser dämmen sollen (Anmerkung: Ja, das ist eine Forderung). Klimaschutz oder gar Klimagerechtigkeit kann nur gegen die herrschende Klasse durchgesetzt werden. Das heißt, dass der Wandel von unten, von uns kommen muss: “Uns aus dem Elend zu erlösen können nur wir selber tun”. Das heißt aber nicht, dass Emotionalität keinen Platz in der Klimagerechtigkeitsbewegung hat, ganz im Gegenteil.

Umgang mit Repression

Zugegeben, bei diesem Punkt habe ich nicht so viele Informationen, die sich auf die “Letzte Generation” beziehen, aber das was ich bisher mitbekommen habe, ähnelt denen zu XR stark. Ein Merkmal von XR ist, dass Menschen mit Gesicht und Namen zu der Aktion stehen und sich bereitwillig festnehmen lassen. Dies wird auch so über Socialmedia verkündet. Nach dem Motto “Sie können uns nicht alle einsperren”, sollen möglichst viele Aktivist*innen im Knast landen und so der Regierung die Sinnlosigkeit vorhalten. Dieses Vorgehen ist aber aus mehreren Gründen problematisch. Repression ist leider ein Bestandteil von (Klima-) Aktivismus. Es kann aber doch nicht das Ziel sein, dass (absichtlich) möglichst viele Menschen festgenommen und bestraft werden. Es ist kein Heldentum, sich auf der Straße festzukleben und stolz zu verkünden “Ich gehe dafür auch ins Gefängnis”. Dieses Vorgehen romantisiert dieses Vorstellung von Gefängnis und Strafe und suggeriert, als wäre es erstrebenswert. Es muss mit einkalkuliert werden, aber es ist alles andere als erstrebenswert. Denn Repression lähmt auch die gesamte Klimagerechtigkeitsbewegung, wenn die diese nicht individualisiert wird. Es kostet Geld, Zeit und Nerven und im schlimmsten Fall Freiheit. Mit Repression und dessen Folgen sollte offen und solidarisch umgegangen werden, aber wo unnötige Repression vermieden werden kann, sollte dies auch geschehen. Nicht umsonst hat sich in den meisten Teilen der (deutschen) Klimagerechtigkeitsbewegung die Personalienverweigerung etabliert. So bleiben den Behörden die meisten Menschen unbekannt und ihnen Repression erspart.