Die Klimagerechtigkeitsbewegung und die Temporäre Autonome Zone

Ich mag Hakim Bey und seine Ansichten aus mehreren Gründen nicht. Warum genau, will ich nicht weiter ausführen, aber wer es wissen will, kann sich mal [1] durchlesen. Was ich aber nicht bestreiten will ist das Ermächtigungsgefühl seines Konzeptes der “Temporären Autonomen Zone” und ganz besonders des “Poetischen Terrorismus”. Dabei geht es um die Schaffung von temporären Freiräumen, in denen die formalen und informalen Normen und Gesetze einer Gesellschaft und eines Staates außer Kraft gesetzt sind. Wikipedia nennt als Beispiele für eine TAZ Hausbesetzungen, Flashmobs, aber auch den Chaos Communication Congress und Karneval [2]. Was aber noch in der Aufzählung fehlt sind die Aktionen zivilen Ungehorsams der (europäischen) Klimagerechtigkeitsbewegung, sei es jetzt eine Massenaktion von Ende Gelände oder eine kleinere nicht angekündigte Aktion. Der Unterschied zu dieser Form von Aktionen zu den vorgenannten (außer Hausbesetzungen) ist, dass sich Menschen bewusst in die Abhängigkeit der Polizei und deren Maßnahmen begeben und der weitere Verlauf völlig unklar ist. Blockieren ein paar hundert Menschen eine Kohlebahn oder einen Tagebau, kann es zum Beispiel sein, dass irgendwann alle gemeinsam wieder gehen oder die Polizei besteht darauf, bei allen Menschen erkennungsdienstliche Maßnahmen (Fotos, Fingerabdrücke) durchzuführen, wenn diese ihre Identität nicht preis geben. Es kann aber auch sein, dass das Blockadeziel gar nicht erst erreicht wird und die Gruppe stundenlang in einem Polizeikessel festgehalten wird. Sobald die Situation also statisch ist (ob erfolgreich oder nicht), ist die Lage quasi “aussichtlos” und alle weiteren Schritte liegen erstmal bei der Staatsmacht. Trotzdem verliert niemand die Nerven. Es wird sich erst einmal gemütlich gemacht, Nasse Klamotten gewechselt, das Frühstück ausgepackt und sich der Raum genommen, soweit das irgendwie geht. Dann werden alberne Spiele gespielt damit es nicht zu kalt wird und oft gibt es Musik (bevorzugt Techno oder 90er Eurodance). Für das Gewaltmonopol des Staates muss das alles dermaßen lächerlich aussehen, das doch bei linksradikalen Protesten eher an brennende Barrikaden und geplünderte Läden denkt und nicht an ravende Menschen im Kessel. Natürlich sind brennende Barrikaden auch eine Form von einer temporären autonomen Zone und beides bringt ein Ermächtigungsgefühl hervor. Der Unterschied zwischen beiden Formen besteht darin, dass bei ersterem das Gewaltmonopol nicht direkt angegriffen wird, sondern indirekt, indem sie lächerlich gemacht wird. Dabei ist die TAZ auch nur ein Teil der Aktion selbst, den außenstehende meist gar nicht mitbekommen. Der andere Teil ist die Störung und Behinderung der fossil-kapitalistischen Maschinerie, zumindestens für eine kurze Zeit. Das lässt sich der Eigentum schützende Staat natürlich nicht gefallen und reagiert mit massiver Repression, sei es durch Anzeigen, Demütigungen im Gewahrsam oder auch direkter körperlicher Gewalt [3]. Trotz der massiven Repression und der scheinbar völlig aussichtslosen Situation, in die sich Menschen bewusst begeben haben, führt die TAZ in einer Blockade zu einem unbeschreiblichen Gefühl von Selbstermächtigung. Die Lage ist nicht nur deshalb aussichtlos, weil es kurzfristig kein entkommen gibt, sondern auch deswegen, weil sich die Klimakrise immer weiter zuspitzt und im Rheinland die Schaufelradbagger immer näher an den noch stehenden Dörfer baggern. Es ist also eine Art Hilflosigkeit, die durch die scheinbar nicht durchdachte Idee bekämpft wird, sich in eine noch akutere Lage der Hilfslosigkeit zu begeben. “Wir wissen uns nicht mehr anders zu helfen” ist auch die Aussage der Aktivistis von “We don’t shut up – We shut down”, die im November 2017 das Braunkohlekraftwerk Weisweiler besetzten und damit zum herunterfahren zwangen [4]. Genau so argumentieren sie auch bei ihrem Strafprozess. Was von den Aktionen bleibt ist neben der medialen Berichterstattung und einem wirtschaftlichen Schaden für den Konzern jenes Ermächtigungsgefühl: “Wegen uns steht der Bagger jetzt still.”, “Wegen uns kann das Kohleschiff nicht am Kraftwerk anlegen,” oder auch “Wegen uns fliegt da dieser scheiß Heli und lärmt uns voll.”. Das Gefühl, zumindestens für ein paar Stunden die Kontrolle über die zerstörerischen Maschinen an sich reißen zu können ist zumindestens für mich, wahrscheinlich für den Großteil der Klimagerechtigkeitsbewegung, der Antrieb, die Hoffnung noch nicht völlig zu aufzugeben [5]. Die Hoffnung auf eine Welt frei von Kapitalismus, Rassismus, Patriarchat und Herrschaft.

Edit: Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist natürlich mehr als nur Aktionen zivilen Ungehorsams. Dazu gehören in Deutschland vor allem die Klimacamps, auf denen die Utopie schon im kleinen gelebt wird, sprich den sozialen Umgang untereinander, wie wir ihn uns vorstellen.

[1] https://theanarchistlibrary.org/library/murray-bookchin-social-anarchism-or-lifestyle-anarchism-an-unbridgeable-chasm

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Tempor%C3%A4re_Autonome_Zone

[3] Wobei die Klimagerechtigkeitsbewegung in Europa natürlich in einer priviligierten Position ist. Mir ist derzeit kein Todesfall durch direkte körperliche Gewalt bekannt, wobei es aber einige Todesfälle bedingt durch psychische Gewalt und Unfälle gibt.

[4] https://wedontshutup.org/die-blockade-ist-gerechtfertigt/

[5] Es gibt natürlich nicht nur Menschen, die blockieren, sondern auch die großartigen Menschen in den Supportstrukturen (Camp, Küfa, Logistik, Legal Support und alle anderen), ohne die das alles niemals möglich wäre <3