6. Kapitel

Tsuyoshi Fujioka

Der UNSCEAR-Bericht steht hinter der Behauptung der japanischen

Regierung: „Es gibt keine gesundheitliche Beeinträchtigung“, aber dem Bericht kann man kein Vertrauen schenken.

Das Kapitel orientiert sich hauptsächlich an dem Aufsatz: „Die niedrigen Expositionen und Agnotologie“ in „Studie der Gesellschaft im 21. Jh.“ Nr. 10 2019, S. 69 – 87, vom Forschungscenter der Gesellschaft für das 21. Jh. an der Hochschule Osaka für Wirtschaft und Jura.

Die japanische Regierung verbreitet dauernd Propaganda, dass die bereits dekontaminierten Gebiete acht Jahre nach dem Reaktorunfall nicht mehr gesundheitlich gefährlich wären, und sie täuscht über die bedrohliche Realität der radioaktiven Kontaminationen nach dem Unfall des Fukushima Daiichi AKWs. Die Regierung hat sich bei der Behauptung am meisten auf den Bericht von UNSCEAR (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation) gestützt.

Direkt nach dem Unfall wurde eine Gruppe von den Atomunfall-Experten zum offiziellen Sitz des Ministerpräsidenten gerufen, und Professor Shigenobu Nagataki (2016 verstorben) von der Uni. Nagasaki war der Vorstand. Er betrachtete UNSECEAR als „eine Organisation der UNO, die wissenschaftlich und international anerkannte Studien veröffentlicht.“, und behauptete, der Bericht des UNSCEARs: „Medizinisch kann keine gesundheitliche Beeinträchtigung durch Radioaktivität unter 100 mSv/J festgestellt werden“ sei wissenschaftlich fundiert.

Im Herbst 2011 wurde noch eine andere Gruppe von Ministerpräsident Noda organisiert: „Working group für die Kontrolle des Risikomanagements bei niedrigen Expositionen“ und sie gab einen Bericht ab. Darin steht, dass das Risiko von Krebserkrankungen aufgrund niedrigen Expositionen unter 100 mSv/J so gering ist, dass es von den anderen Ursachen verdeckt wird, daher ist es schwer, die klare Zunahme der Gefahr von Krebserkrankungen aufgrund der Expositionen zu beweisen. Der Grenzwert der allgemeinen Exposition war bisher 1 mSv/Jahr, aber er wurde auf 20 mSv/Jahr zwecks Aufhebung der Evakuierung erhöht. Der Bericht des UNSCEARs als „internationale wissenschaftliche Meinung“ war die Begründung für diese Erhöhung.

Ministerpräsident Abe hat im September 2013 bei der IOC–Vollversammlung der Welt erklärt, dass das Problem mit verseuchtem Wasser „under control“ sei und damit war die Einladung zu der Olympischen Spielen nach Tokyo entschieden worden. Ab Oktober setzte sich sein Kabinett dafür ein, die betroffenen Gebiete oberflächlich wiederaufzubauen, statt den betroffenen evakuierten Menschen zu helfen, und das Kabinett stimmte „den Grundprinzipien“ mit den schnellen Rückkehrmaßnahmen vom Wiederaufbauamt zu. Danach sind die geplante Olympischen Spielen 2020 in Tokyo ein Symbol für den Wiederaufbau nach dem Erdbeben geworden, und im Dezember gab „das Amt für die Wiederherstellung der Ordnung nach dem Atomunfall“ seine Vorhaben folgendermaßen an: „Vom Atomunfall zum Wiederaufbau von Fukushima“. Dementsprechend folgten schnell die Aufhebung der Evakuierung gleichzeitig mit dem Ende der Unterstützung für die Evakuierten.

Diese Maßnahmen waren mit der Propaganda der Regierung untrennbar verbunden, bei der sie die Bewohner daran glauben lassen wollte, dass das radioaktive Risiko im betroffenen Gebiet nicht so hoch sei. In der Broschüre der Regierung etc. (Kabinett, Amt für Wiederaufbau, und andere 8 - Ministerien oder Ämter): „Grundinformation über das radioaktive Risiko“ (1. Auflage Februar 2014), an deren Veröffentlichung sich 56 Wissenschaftler beteiligt hatten, gab an, dass die Radioaktivität unter 100 mSv/J keine beachtliche gesundheitliche Beeinträchtigung mit sich bringen würde. Diese Broschüre wurde an ehemalige Bewohner aus den Regionen verteilt, deren Evakuierung ins Auge gefasst worden war.

Diese Broschüre war mit dem Zitat aus dem 2013-er Bericht des UNSCEARs autorisiert: „Die Zunahme der gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der radioaktiven Expositionen ist auch für die Zukunft ausgeschlossen.“ Auf der anderen Seite gab es bereits Zweifel, ob die Zunahme der Erkrankungen von Kindern an Schilddrüsenkrebs doch aufgrund der Expositionen erfolgt sei, da sie nach der gesundheitlichen Untersuchungen von der Präfektur Fukushima festgestellt worden war. Aber, nach den Veröffentlichung des UNSCEAR- Berichtes, war die Broschüre überarbeitet worden, in der der Satz: „Die Wahrscheinlichkeit der steigenden Zunahme der Erkrankungen an Schilddrüsenkrebs kann ignoriert werden.“ aus dem Bericht zitiert wurde, weil die radioaktive Exposition in Fukushima im Vergleich zum Tschernobyl-Unfall geringer gewesen war.

Im Rahmen der Klagen der in verschiedene japanische Orte evakuierten Bewohner der kontaminierten Gebiete gegen Tepco und die japanische Regierung auf Entschädigung, haben deren Sachverständige als Zeuge Widerspruch erhoben. Die Kläger legten das sehr hohe gesundheitliche Risiko aufgrund der radioaktiven Expositionen dar, aber diese Fachleute beharrten auf dem Bericht des UNSCEARs, damit im Rahmen der Klage die wissenschaftliche Betrachtungen der Organisation für diesen Bereich als Norm eingeführt und festgestellt werden können. Dadurch konnten sie die große Gefahr verneinen.

*Landgericht Chiba, 乙ニ共173, eine schriftliche Meinungsäußerung von Sasaki u.a., 26.10.2016

Wie bei der Klage priesen die japanische Regierung und ihre Helfer den Bericht des UNSCEARs als „Die internationale und wissenschaftliche Weisheit“, hier muss man aber die Tatsache nicht vergessen, dass die Mittel (ca. 60000 Euro) des japanischen Außenministeriums für den Bericht 2013 und für seine Neuauflage 2017 noch einmal ein ähnlicher Betrag ans UNSCEAR geflossen waren. Außerdem stand für den Bericht 2013 ein Repräsentant der japanischen Regierung (Yoshiharu Yonekura, der Präsident des National Institutes for Quantom and Radiological Science and Technology: NIQRST) als Berichterstatter; der Co–Vorstand der Organisation 2014, und der Vorstand von 2015 bis 2016 waren immer Japaner. Die meisten Grunddaten stammten von NIQRST oder anderen japanischen Organisationen. Während Japan die Daten, das Geld und den Vorstand für UNSCEAR in der Hand hatte und die japanische Regierung den Bericht als wissenschaftlich bezeichnete, wollten bzw. konnten doch nicht alle Länder die Behauptungen einfach hinnehmen. Es gab innerhalb UNSCEAR auch die Kritik, dass der Bericht 2013 die gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Radioaktivität als zu harmlos bewertet habe. Die internationale medizinische Gruppe IPPNW (mit Mitgliedern aus 19 Staaten, wie Deutschland, Großbritannien, USA usw.) gab ebenfalls einen kritischen Bericht ab.

Yufuko Yoshida „Schilddrüsenkrebs nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl und UNSCEAR“ in „Kagaku“ Nr. 9, 2018 (88. Jahgang) Iwanami-shoten Verlag, S. 915- 923 u. S. 922

Yoko Kawasaki, „Unabhängigkeit von internationalen Organisationen erwünscht, um das gewonnene Wissen nutzen zu können – Im Fall von Krebserkrankungen bei Kindern“ in „Kagaku“ Nr. 2. 2018 (88. Jahrgang) Iwanami-Shoten- Verlag, S. 194 – 201 u. S.195

Im Grunde genommen kann die Meinung des UNSCEARs nicht als wissenschaftliche Studie über radiologische Einflüsse auf die Gesundheit herangezogen werden, wenn doch, dann ist das nur eine Verdrehung der Tatsachen. Denn UNSCEAR hat in seinem „Governing Principles“ einen klaren Ansatz: „Das wissenschaftliche Thema dieses Komitees kann unter Umständen weitere Diskussionen benötigen... es steht einem engen Zusammenhang mit den politischen Diskussionen“ -

http://www.unscear.org/unscear/en/about_us/governingprinciples.html

So ist das Komitee keine wissenschaftliche Organisation, deren Arbeit sachlich nicht bestätigt wird, so dass es überhaupt keine wissenschaftliche Autorität gegenüber der internationalen wissenschaftlichen Gesellschaft besitzt.

Schon weltweit bekannt ist, dass UNSCEAR eine enge Zusammenarbeit mit IAEA oder ICRP pflegen, die für Atomkraft stehen und sich daher das Personal der Organisationen überschneidet. Der ehemalige Berater der WHO für den Bereich Radioaktivität und Gesundheitswesen, Keith Baverstock, ist im November 2014 nach Japan gekommen und bei der Pressekonferenz für ausländische Medien in Japan ein wichtiger Zeuge geworden, denn er kannte Interna des UNSCEARs sehr gut.

Ein Dokument aus der Pressekonferenz für ausländische Journalisten in Japan vom 20.22.2014 vom ehemaligen Experte für Radioaktivität und allgemeine Gesundheitsfragen bei der WHO, Dr. Keith Beberstock. http://csrp.jp/posts/1898 Der Verfasser las es am 27.4.2019 auf Japanisch: in „Kagaku“ Jahrgang 84, Nr. 11, 2014 S. 1175 - 1184

„Die meisten Mitglieder des Komitees sind von allen Ländern mit Wirtschaftsprogrammen zur Förderung der Atomkraft benannt worden und diese Länder geben UNSCEAR Geld...ich persönlich habe langzeitige Erfahrungen im Bereich zur Bewertung des Risikos von Radioaktivität, daher ist es für mich sehr bemerkenswert, dass kaum ein solcher Wissenschaftler, der Atomlobby gegenüber kritisch eingestellt ist, an dem Bericht des UNSCEARs mitgewirkt hat... ich ziehe am Ende das Fazit, dass der Bericht des UNSCEARs nicht auf allen wissenschaftlichen Bedingungen für die Bewertung des Risikos fußt. Der Bericht über Fukushima ist nämlich nicht aktuell, nicht transparent, nicht umfassend, nicht unabhängig von jeder Macht und jeder finanziellen Quelle, darum ist er es nicht wert, als wissenschaftlich bezeichnet zu werden.

Baberstock kritisierte auch die Pressemitteilung des UNSCEARs mit dem Titel: „Die Zunahme der Krebserkrankungen aufgrund der radioaktiven Expositionen kann man in Fukushima nicht voraussehen – Bericht der UNO.“ Er hat folgende gesagt: „UNSCEAR hat die kollektive Dosis 1 Jahr nach dem Unglück in Japan für 18000 Person・Sv berechnet. Von dieser Berechnung ausgehend kann damit gerechnet werden, dass eine Erhöhung von Krebsfällen von 2500 bis 3000 eintreten werden. Den besten fundierten Kenntnissen über das Risiko radioaktiver Expositionen zufolge werden diese Erkrankungen nicht überraschend, sondern sicher kommen. Welche Personen betroffen sind, kann man nicht vorhersehen, aber so viele Erkrankungen wird es sicher geben. Dass eine wissenschaftliche Organisation ihre Kenntnis in der Weise mitgeteilt hat, ist nicht zu entschuldigen.

Der ehemalige Experte für Radioaktivität der WHO nannte diese Mitteilung unentschuldbar, deren Wahrheit die japanische Regierung immer noch behauptet, die sie benutzt und anpreist.

Noch ein Gegenargument angesichts dieser Behauptung der japanischen Regierung. Toshihide Tsuda hat zusammen mit seinen Kollegen die Daten aus der ersten gesundheitlichen Untersuchung in Fukushima epidemiologisch analysiert und die Zunahme der Erkrankungen bei Kindern an Schilddrüsenkrebs gezeigt; seine Studie ist auf der wissenschaftlichen Zeitschrift Epidemiology online veröffentlicht worden. Die anderen japanische Fachleute, die diese Zunahme nicht zugeben wollten, reagierten mit starker Zurückweisung und einige Kritiken wurden zum Diskussionsportal geschickt. Tsuda hat mit guten Argumenten auf alle Briefe geantwortet.

Tomya Yamaguchi, „Wovon das Weißpapier des UNSCEARs 2016 von Schilddrüsenkrebs bei Kindern nicht erwähnt – Frage über antiwissenschaftliche Strukutur“ in „Kagaku“ Jahrgang 88, Nr. 9 (September 2018) Iwanami-Schoten-Verlag, 2018 S. 906-914, S. 907

Aber im Weißpapier des UNSCEARs 2016 wurden seine Argumente völlig ignoriert und darin fand sich nur die einseitige Kritik jener Fachleute. Das Fazit des UNSCEARs: „Die Studie von Tsuda et. al, wirkt aufgrund der Unstimmigkeit und der Schwäche gegenüber den Kenntnissen unseres Berichtes nicht besonders bedeutsam.“ Tomoya Yamauchi war von dieser nicht neutralen Haltung, die bei den ernsthaften wissenschaftlichen Diskussionen nicht vorkommen darf, negativ überrascht und übte Kritik am Weißpapier des UNSCEARs 2016, dass die Rahmenbedingung zur Diskussion bereits außerhalb des Normalzustandes festgelegt wurden, und das ist das eigentliche Problem bei einer Diskussion, bevor man tiefer in die Fachgebiete eindringt und auf der wissenschaftlichen Ebene die Wahrheit anspricht. Das Verhalten des UNSCEARs ist eine Beleidigung der wissenschaftlichen Diskussion von Fachleuten in der wissenschaftlichen Zeitschrift: Epidemiology.

Jetzt möchte ich historisch zurückgehen, warum UNSCEAR als eine Organisation der UNO auf der Seite der Atomkraftbefürworter steht. Nach den Wasserstoffbombentests der USA auf Bikini Atoll waren Diskussionen um die gesundheitlichen Folgen eines Fall-Outs entstanden. Zwischen US-amerikanischen Behörden, die behaupteten, dass die Folge der Expositionen ignoriert werden konnten und Genetikern und anderen Naturwissenschaftlern, die sich für einen Stopp der Atomtests engagierten, da sie aus der LNT-Hypothese schwere Folgen voraussagten, war diese Diskussion in eine Sackgassee geraten.

Im März 1955 schlug FAS (Federation of American Science) die Einrichtung eines Komitees aus amerikanischen, englischen und sowjetischen Naturwissenschaftlern vor. Am Anfang lehnten die amerikanische und die englische Regierung den Vorschlag ab, aber in der Zeit nahm die internationale öffentliche Meinung für das Vernichten aller Atombomben und ein Verbot aller Atombombentests zu, wofür Bertrand Russell und Albert Einstein zusammen eine Erklärung veröffentlicht hatten. Schließlich errichtete die USA selbst ein naturwissenschaftliches Komitee mit ihren Mitteln in der UNO, und danach standen alle Daten und Veröffentlichungen, die bei der UNO abgegeben worden sind, unter amerikanischer Kontrolle. In der damaligen Situation, in der sich amerikanische Naturwissenschaftler gegen Atomtests wandten und die internationale Meinung anfing, strategisch mit den Sowjets zusammenzugehen, bekamen die USA ein Krisengefühl. Infolgedessen der Gedanken des „Kalten Krieg–Liberalismus“ entstand eine Bewegung, die Anti-Amerikanismus und Anti- Atombomben-Haltung unterdrücken sollte, und mit dem Antikommunismus übereinstimmte, was zum Anlass für die Entstehung von UNSCEAR war. Eine neue Studie hat den Prozess geklärt.**

Nach dem ursprünglichen Plan der Einrichtung des UNSCEARs hätte der UNO-Generalsekretär nach der Empfehlung eines Ernennungskomitees die Mitglieder eingesetzt und diese sollten in freier Selbstverwaltung arbeiten. Aber die amerikanische und die englische Regierung hatten vor zu großen Einflüssen der Naturwissenschaftler Angst, so dass der Plan geändert wurde, dass jeder Mitgliedstaat einen eigenen Vertreter wählt, damit die Regierungen der Mitgliedstaaten auf die Erörterungen von Naturwissenschaftlern direkt und entscheidend Einflüsse nehmen können. Das ist der historische Verlauf, weshalb der Bericht des UNSCEARs nicht aus freien wissenschaftlichen Diskussionen von Fachleuten stammt, sondern dem Willen jedes Mitgliedstaats entspricht.

* Toshihiro Higuchi, “Epistemic frictions: radioactive fallout, health risk assessments, and the Eisenhower administration’s nuclear-test ban policy, 1954-1958,” International Relations of the Asia-Pacific, Volume 18, Issue 1, 1 January 2018, pp. 99-124.

**Hiroko Takahashi, „ Ursprung von UNSCEAR: Der Kalte Krieg zwischen USA und Sowjetunion, und das amerikanische Atomkraft Komitee“ in „Kagaku“ Jahrgang 88, Nr. 9, 2018, Iwanami-Shoten Verlag S. 924-930, S. 926

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