Die Stadt Tokyo, der Veranstaltungsort für die Olympische Spiele 2020, ist meine Heimat, wohin wir nicht zurückkehren können.
■Premier Abe lächelte, während es meiner Tochter schlechter und schlechter ging.
Im Sommer 2013, als für den Austragungsort der Olympischen Spiele 2020 Tokyo ausgewählt wurde, war ich zu Hause in Tokyo. Im Fernseher lief ein Live-Sendung, in der der Premier Abe, seine Arme ausbreitend, erklärte, dass das Fukushima Daiichi AKW unter Kontrolle wäre. Er sprach lächelnd und fließend davon, dass die Stadt Tokyo unter keinem schlechten Einfluss war und dass das weiter so bleiben würde, auch dass es in der Vergangenheit in der Gegenwart und in der Zukunft keine gesundheitliche Probleme gab und geben wird.
Zu der Zeit war meine Tochter - kurz vor ihrem 8. Geburtstag – bei mir. Sie fühlte sich immer schlechter. Sie war nicht mehr gesund.
Sie klagte: „Mir ist übel, ich bin kaputt ...“ „ Ich bin schlapp, ich habe Kopfschmerzen, Bauchweh, meine Füßen tun mir weh, ich kann nicht laufen, Mir tun die Händen bis in die Fingerspitzen weh, mir ist kalt, mein Gesicht ist heiß, Hilfe, Ich habe sehr starke Schmerzen.“ Nach dem Reaktorunglück litt sie ständig unter solchen Symptomen und sie wurden schlimmer und schlimmer, ohne ein Zeichen der Besserung.
Von Atomkraftwerken wusste ich bis dahin gar nichts. Sofort nach dem Unfall erwachte ich jedoch und sammelte zielstrebig Informationen darüber und las viele Bücher, währenddessen sich die gesundheitliche Lage meiner Tochter verschlechterte. Als ich von der inneren Exposition mehr wusste, habe ich zum ersten Mal Radioaktivität mit der Veränderung der gesundheitlichen Lage meiner Tochter verknüpft.
■Kann das sein: Exposition ausgerechnet in Tokyo?
Ich war nicht überzeugt von meiner Hypothese. Innere Exposition? Ausgerechnet in Tokyo? Wenn ich von meiner Sorge sprach, wurde ich nicht ernst genommen oder aber beschimpft, und mein Mann lachte erst auf, und am Ende stritt ich immer mit ihm. Meinen Freunden konnte ich nichts davon erzählen. Denn die Worte Abes: „Kein Problem“ waren für uns Bürger in Tokyo wie Allgemeinwissen, sie waren wie die Luft zum Atmen.
Man wusste nichts. Ich wusste und verstand nicht, woran und warum mein Kind litt, was man dagegen tun konnte. Wie lange würde die Situation andauern, wird der Tag kommen, an dem mein Kind gesund werden würde? Es gab keine Aussicht für die Zukunft. Es waren sehr harte Tage. Die Symptome ähnelten sich wie die “Keine - Lust - Krankheit aufgrund der Atombombe”. Meine Tochter war bis zu ihrem 5. Lebensjahr ein energiegeladenes Kind. Sie hatte viel Kraft und hat den ganzen Tag draußen gespielt.
Ich war schockiert durch die unglaubliche Lüge vom Premier Abe: ”(Havarierte Reaktoren sind) Under control” und ich war erschrocken zu hören, was er weiter gesagt hatte: “Über die Gesundheit der Japaner gab es in der Vergangenheit, gibt es im Gegenwart und auch in der Zukunft keine Probleme”. Damals war ich noch nicht von den radioaktiven Einflüssen auf die Gesundheit meiner Tochter überzeugt, aber sie war von dem Problem betroffen und daher wollte ich diese Worte nicht hören, die der lächelnde Premier so geredet hatte, der meine Tochter nicht kannte. Ich hatte das Gefühl, dass ich mit meiner Tochter zusammen gepresst und weggeworfen würde. Seitdem denke ich mir, dass ich diese Veranstaltung, diese Olympischen Spiele nicht erlaube. Das hämmere ich mir ständig in mein Gedächtnis. Mir war klar geworden, dass der Zweck der Veranstaltung darin lag, dass man das große Reaktorunglück und seine Schäden vergisst und verdrängt. Mit seinem lächelnden Gesicht sollte das Unglück weggestrichen und stattdessen „Wiederaufbau“ mit Stolz gezeigt werden. Das hatte ich selbst erkannt.
Ein halbes Jahr später verschlechterte sich die gesundheitliche Lage meiner Tochter. Sie konnte nicht mehr in die Schule gehen, nicht mit Freunden spielen, im schlimmsten Fall konnte sie sogar nicht allein auf die Toilette gehen.
■Wenn kranke Menschen in die nicht kontaminierten Orte gehen, können geheilt werden!
Zu der Zeit habe ich als einzigen Arzt, Dr. Shigeru Mita im Großraum Tokyo gesehen, der sich mit dem Problem der Exposition ernsthaft beschäftigt hatte. Er sagte mir, dass kranke bzw. geschwächte Kinder gesund und fit werden oder sich die Ergebnisse der Blutuntersuchung rapide verbessern können, wenn sie an einen nicht kontaminierten Ort umziehen.
Ich konnte an seinem allerletzten Vortrag in seinem bisherigen Behandlungsort gerade noch teilnehmen, denn auch er hatte im nächsten Monat seinen Umzug geplant. Er sagte ganz klar, dass es meiner Tochter aufgrund von Exposition schlecht ging. Ich war nicht besonders schockiert, sondern eher in einer tiefen Beruhigung. Ich dachte, jetzt kann man der Sache richtig etwas entgegensetzen, einen Weg der Heilung suchen… Der Doktor empfahl ihr einen Umzug in einen nicht kontaminierten Ort und eine Kur.
Wir, meine Tochter und ich zogen nach Toyama, in das Elternhaus meines Mannes um. Dann passierte ein Wunder. Auch zur Toilette hatte ich sie vorher auf meinen Schultern schleppen müssen, aber nach ein paar Tagen konnte sie bis zum Strand die 15 Minuten zu Fuß gehen und im Schwimmbad schwimmen. Das war ein Wunder, nachdem sie sich ständig beklagt hatte, was sie auch gerade tat; alles hatte ihr weh getan; sie hatte nicht nur nicht in die Schule gehen, sondern einfach gar nicht mehr ausgehen können.
Ganz ähnlich ging es ihr in Okinawa und Kobe, in der Stadt, in die wir alle später endgültig umgezogen sind. Als wir wieder nach Tokyo kamen, ging es ihr wieder schlecht. Bereits an dem Abend, als wir dort ankamen, war eine Verschlechterung zu beobachten.
Meine Tochter, die ihre Gesundheit zurückgewonnen hatte, sagte dann wieder: „ Mutter, ich bin zu müde, um Hausaufgabe zu machen.“ Sie wollte aber nicht zugeben dass es ihr schlecht geht, weil es die Mutter enttäuschen und wieder Sorge machen würde.
Ich war sehr traurig, als ich erkannte, dass sie wieder leiden musste, und kann nicht mehr vergessen, wie sie da weinte.
■Vermehrte Fälle der „Verminderte Fähigkeiten“ aufgrund von Exposition im Großraum Tokyo
Wir hatten vier Monate lang das Leben mit Umzügen für die Kur meiner Tochter verbracht, wobei sie zurück in Tokyo keinen Tag gesund war. Danach zogen wir, meine ganze Familie, nach Kobe, Westjapan, um. Anders als in vielen Fällen, in denen nur Mütter und Kinder flüchteten, hatten wir schon von Anfang an kein finanzielles Problem, so dass wir uns schnell der Stadt anpassen konnten, zu der wir bis zu diesem Zeitpunkt keinen Bezug gehabt hatten. Es ging uns gut und ich war vor allem sehr dankbar, da meine Tochter schnell gesund wurde und mit vielen neuen Freunden spielte, als ob das bisherige Spielen nachzuholen sei. Es war ein Wunder.
Was im Körper meiner Tochter geschah und was in unseren Körpern immer noch geschieht? Nach dem Umzug nach Kobe hatten wir wieder die Praxis von Dr. Mita, in Okayama besucht, sind regelmäßig untersucht worden, dadurch habe ich nach und nach Informationen bekommen können. Nach wiederholten Untersuchungen unseres Hypophysenhormons hörte ich von radioaktiven Einflüssen auf eine wichtige Stelle, das Gehirn.
Er meinte, dass die Verminderung des Hypophysenhormons nicht nur uns, meiner Familie, sondern genauso vielen Menschen im Großraum Tokyo passiert. Wir drei sind wahrscheinlich gesund. Aber die Zahl der Menschen nimmt zu, die zusammen mit dieser Verminderung des Hormons andere Symptome bekommen, wie die Abnahme von Willenskraft, Gedächtnis, und Abwehrkraft, so dass sie kein normales Leben mehr führen können, so erzählte Dr. Mita. Er nannte diese Symptome „Verminderte Fähigkeiten“
Ob wir diese Fähigkeiten zurückgewinnen können, weiß niemand. Wir alle sind Versuchskaninchen. Viele Bewohner dieses Landes sind auch Versuchskaninchen und laufen in die falsche Richtung, statt die Lösung des Problems mit Klugheit und vereinten Kräften voranzutreiben.
In der Stadt Tokyo bin ich geboren, aufgewachsen, habe geheiratet und meine Tochter geboren, das war der Mittelpunkt meines Lebens. Meine Eltern, Geschwister und Freunde leben dort. Trotzdem war mein sentimentales Heimatgefühl total ohne eine Spur zu hinterlassen, wie weggeblasen.
Ich kann dorthin nicht zurückkehren. Ich habe keinen Wunsch mehr nach Heimkehr. So dramatisch waren meine Erlebnisse in den zurückliegenden vier Monaten mit meiner Tochter in Tokyo. Und das Ergebnis der Untersuchung unseres Hypophysenhormons, womit wir uns seitdem beschäftigen, ist grausame Realität, vor der man nicht fliehen kann.
Das ist gerade die Gefahr von Radioaktivität, die man nicht sehen, riechen und nicht fühlen kann. Aber das Problem ist nicht nur das. Was ich furchtbar finde, ist, dass ich mein schmerzhaftes Krisengefühl kaum mit meinen Liebenden und Freunden teilen kann.
■Die Olympischen Spiele werden eine traurige Zukunft bringen.
Je näher das Jahr 2020 kommt, desto eindringlicher nimmt mich ein undefinierbares, unangenehmes Gefühl gefangen. Ist es überhaupt möglich? In einem Ort, wohin meine Tochter niemals mehr gehen darf; von wo manche Mütter und Kinder geflüchtet sind, wo Eltern um ihre Kinder und sich selbst zu schützen, geflüchtet sind vor einer eklatanten Bedrohung der Gesundheit. Die Menschen fliehen, um auch morgen noch gesund zu leben. Darf man an diesem Ort wirklich Olympische Spiele veranstalten?
Meine Heimat wurde kontaminiert. Was schon existiert kann man nicht ignorieren: man darf nicht einfach glauben, dass es keine Kontamination gibt. Die Augen der Japaner wurden verbunden, um nicht sehen oder bemerken zu können oder zu sollen, was auf dem Gelände des Reaktorunglücks immer noch passiert, und dass die ganzen Regionen in Ostjapan radioaktiv kontaminiert wurde. Von den Veranstaltern wird so geplant, dass diese Spiele ein Zeichen dafür sind, dass das Unglück beendet wäre.
Sind es Spiele des Wiederaufbau und der Renaissance? Bereiten die Spiele für uns Hoffnungen oder Zukunft? Was für Hoffnungen kann man sehen, wenn allen die Augen verbunden werden. Und wie kann man sehen oder wissen, dass Kinderkörper und unser Körper verletzt sind? Sollen wir mit den verbundenen Augen fleißig vorangehen, um der Welt die Olympische Spiele als Symbol des Wiederaufbaus zu zeigen? Aber für wen? Wozu eigentlich?
Mein eigenes Kind schlug mir auf den Kopf. Die Augenbinde fiel wie Schuppen. Deshalb erkenne ich jetzt die Existenz der Augenbinden. Weil es diese Augenbinde gibt, können wir die geschätzte Menschheit nicht vor Exposition schützen.
Wir könnten lernen (wenn wir wollten) von vergangenen Atombombenabwürfen, Atomtest, AKW - Unfällen, radioaktive Katastrophen. Wir könnten lernen, was für eine traurige Zukunft vor uns liegt. Mein Kind zeigt mir ein kleines Bisschen davon durch ihren eigenen Körper.
Diese Olympische Spiele selbst sind eine historische, größte und letzte Augenbinde. Schmeißen wir die Augenbinden weg! Wir wünschen uns ein lebenswertes Leben, in dem von unseren Eltern erhaltenen Körpern. Wir Erwachsenen sollten alle Hemmungen und Hindernissen überwältigen und uns zusammenschließen, um die Zukunft zurück zu bekommen, in der unsere Kinder weiter gesund und fröhlich laufen und springen können.
Ich erlaube die Veranstaltung der Olympische Spiele 2020 in Tokyo nicht.
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