Kohei Murata, der ehemalige japanische Botschafter in der Schweiz
Kohei Murata war schon lange gegen die Spiele in Tokyo. Mit einer freundlichen Genehmigung von ihm wird hier das Interview der Zeitschrift „Gekkan Nippon“, Ausgabe vom September 2018, veröffentlicht.
Gekkan Nippon – Herr Murata, Sie haben schon lange vor März 2011 vor dem AKW gewarnt. Warum haben Sie ein Interesse an den Problemen mit Reaktoren?
Murata: Mein Interesse wurde geweckt, als der große Reaktorunfall 1986 in Tschernobyl, Sowjetunion, passierte. Damals war ich Botschaftsrat bei der UN und als ich die Nachricht hörte, dachte ich, dass etwas Ernstes geschehen sei.
Die Sowjets setzten etwa 900.000 Arbeiter ein, um den Unfall aufräumen zu lassen. Direkt nach dem Unfall wurden auch 30.000 Soldaten eingesetzt. Sie haben nur in 7 Monaten ein riesiges Gebäude erstellt, der die Ruine der Reaktoren abschirmen sollte, ein sogenannter Sarkophag.
Aber so etwas konnten nur die Sowjets bewerkstelligen. Nur eine Diktatur konnte so viele Arbeiter für solch eine Beschäftigung zwangsmäßig einsetzen und die betroffenen Bewohner aus der Umgebung zum Umzug zwingen. Ein demokratisches Land wie Japan, ohne ein extrem starke Leitungsvermögen und besonders zähe Entschlossenheit, wäre zu solchen Taten kaum fähig. Ich habe bei der Betrachtung des Geschehens in Tschernobyl überlegt, welche verheerenden Folgen Japaner ertragen müssten, wenn ein ähnlich großer Reaktorunfall in Japan passieren würde.
Leider ist meine Sorge am 11.3.2011 Realität geworden. Und die Erklärung von Ministerpräsident Abe bei der IOC-Vollversammlung überraschte die Welt; seine Ansage von „under Controle“ entsprach nicht den Tatsachen. Die jetzige Situation in Fukushima ist immer noch weit entfernt von einer Normalisierung und die Verschlechterung der Lage ist sogar ernsthaft zu befürchten.
Tepco hat zum Beispiel den sogenannten Eiswall gebaut, um das kontaminierte Wasser zu stoppen, indem sie die Erde rund um die Gelände der Reaktoren tiefkühlten, damit kein Wasser in den Ozean sickern sollte. Aber es gab schon vor dem Bau Fragen wie: Was passiert beim Stromausfall. Tatsächlich gab es für die Anlage am 28.7. keine Energie und der Eiswall funktionierte nicht mehr.
Gleichzeitig wurde die andere Anlage gestoppt, die in den Reaktoren den Stickstoff fließen lässt, um eine Wasserstoffexplosion zu vermeiden. Mit anderen Worten kann der langfristige Stopp der Anlage Wasserstoff explodieren lassen.
Es gibt noch andere Probleme. Ein amerikanischer Atom-Experte, Arnie Gundersen, behauptete nach seinem Test, dass Zirkonium, womit Brennstoff in Reaktor 4 bedeckt wurde, in Kontakt mit Luft Feuer fangen kann. So habe ich drei Jahre lang in der japanischen Parlament den Debatten über das Problem zugehört und nach der Gegenmaßnahme gefragt. Dabei ist klar geworden, dass sowohl die Regierung als auch Tepco keine Maßnahme dagegen getroffen haben.
Zum Glück sind alle Brennstoffe aus dem Reaktor 4 bis Ende letzten Jahres herausgeholt worden, damit das schlimmste Szenario vermieden werden konnte. Das gleiche Problem existierte allerdings bei den Reaktoren 1. bis 3. immer noch. Die Radioaktivität der Reaktoren ist zu hoch, nur um sich ihnen zu nähern; deshalb ist die Situation viel ernster als bei dem Reaktor 4.
Meine größte Sorge ist, ob eine neue Kritikalität in einem Reaktor oder mehreren geschehen würde. Darüber berichtete die Zeitschrift: „Wochen Playboy“ vom 4. Mai: „Japan Atomic Energy Agency errichtete gemäß dem Vertrag von CTBT (Umfassendes Atomteststoppabkommen) ein Überwachungssystem für hohe radioaktive Nuklide in Takasaki, Gunma Präfektur, und das System meldete, dass seit Dezember vom letzten Jahr Iod 131 und Tellur 132 ständig ausgetreten war, jene radioaktiven Nuklide, die die erneute Kritikalität vermuten lassen.“ Darüber hinaus wurde von einigen Phänomenen wie ausgestoßener Wasserdampf und Blitzen berichtet, die Indizien möglicher Kritikalität sein könnten.
Ob es in der Tat zur Kritikalität gekommen ist, darüber sind sich auch die Fachleute uneins. Aber es ist eine dringende, wichtige Aufgabe der Regierung, dieses festzustellen also Ja oder Nein, um eine eventuelle Panik unter den Bevölkerung zu vermeiden.
Ich verbreite diese Notwendigkeit in der Welt weiter.
Gekkan Nippon - Herr Murata, Sie schicken Ihre Botschaft über Atomunfälle ständig an die internationale Gemeinschaft.
Murata – Ich glaube, dass die Lösung der Probleme bezüglich des schweren Atomunfalls wie in Fukushima eine internationale Zusammenarbeit nötig macht. Es ist offensichtlich nicht mehr möglich, solche Probleme von einem einzigen Land aufarbeiten zu lassen. Die internationale Gemeinschaft ist sich dessen bewusst. Wenn Japan weiter internationale Hilfe ablehnt, dann kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Probleme mit Fukushima unter internationale Aufsicht gestellt werden, um zu vermeiden, dass die lokale Katastrophe zu einer weltweiten Katastrophe wird. Im extremen Fall müsste Japan eins davon wählen, die internationale Zusammenarbeit oder die internationale Kontrolle.
Gendai Nippon – Sie haben im Juli 2018 auch einen Brief an den IOC-Präsidenten, Herrn Thomas Bach, geschickt.
Murata- Ich habe deshalb den Brief an Herrn Bach geschickt, um ihm die jetzige Situation in Fukushima und auch die Änderung der öffentlichen Meinung über die Olympischen Spiele in Japan mitzuteilen. Herr Jitsuro Terajima, ein Sozialkritiker und Herr Shigetada Kishii, ein außergewöhnlicher Editor der Zeitung Mainichi haben am 12.7.2018 in einem Fernsehprogramm des „Sunday Morning“ auf den notwendigen Verzicht der Olympischen Spiele hingewiesen haben. Das war das erste Mal, dass solch eine Persönlichkeit mit Einfluss wie Herr Terajima in Japan die Sorge über die Austragung der Spiele in Japan angesprochen hat.
Was Japan jetzt tun sollte, ist der Verzicht der Olympischen Spiele in Tokyo. Dafür aber konzentrierte und möglichst umfassende Aufräumarbeiten und Lösung der Probleme des Reaktorunfalls in Fukushima. Wenn eine nochmalige Kritikalität bewiesen würde, würden Wiederbetrieb der AKWs und die Absage der Olympischen Spiele außer Frage stehen.
Nach meiner Überzeugung kann die Fügung (ein durch philosophische Studien bewiesenes Gesetz der Geschichte) eine sehr lange Dauer der Immoralität nicht dulden. In der Tat musste der erste Bauplan des neuen staatlichen Stadions, ein Symbol der Unmoral, schon komplett zurückgenommen werden. Ein „ehrenvoller Rückzug“ von den Spielen, die dafür stehen, das unvorstellbare Leiden der Menschen aus Fukushima zu verdecken, ist die einzige und am besten geeignete Option für Japan.
To: Mr. President of International Olympic Commitee, Lausanne, Schweiz
Dear Mr. Thomas Bach,
A renowned Japanese nuclear expert has sent me two articles written by Mr. Arnie Gundersen of Fairwinds Energy Education, seriously warning of undeniable radiation risks linked to the Tokyo Olympic Games.
Atomic Balm Part 1: Prime Minister Abe Uses the Tokyo Olympics as Snake Oil Cure for the Fukushima Daiichi Nuclear Meltdowns https://www.fairewinds.org/demystify/atomic-balm-part-1-prime-minister-abe-uses-the-tokyo-olympics-as-snake-oil-cure-for-the-fukushima-daiichi-nuclear-meltdowns
Atomic Balm Part 2: The Run for Your Life Tokyo Olympics https://www.fairewinds.org/demystify/atomic-balm-part-2-the-run-for-your-life-tokyo-olympics
I hope these two articles will help you when handling emerging new problems related to the 2020 Tokyo Olympic Games.
Sincerely yours,
The former Japanese Ambassador to Switzerland
Kohei Murata
Übersetzung ursprünglich veröffentlicht auf lorem.club.
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