Die helle Seite der Macht

warum Macht nicht gleich Machtgeilheit ist

“Macht” ist ein Ausdruck der bei vielen Menschen - so mein Eindruck nach vielen Diskussionen - sehr negative Konnotation besitzt. Macht wird als etwas so schlimmes empfunden, dass es in Bausch und Bogen abgelehnt wird.

Aber was ist “Macht” eigentlich? Und warum wird Macht als negativ empfunden?


Ich versuche mich - angeregt durch eine äußerste Intensive Diskussion - diesem Thema von einem eher ungewöhnlichen Standpunkt oder Perspektiven-Zentrum aus zu nähern.


Jeder von uns hat schon Erfahrungen mit Macht gemacht. Als Kind möchte man noch einen Kaugummi oder eine Sendung im Fernsehen ansehen und der Papa oder die Mama hat das entschieden abgelehnt. Das nochdazu mit einer Begründung, die für einen selbst in der Situation vollkommen absurd erscheint. Wie kann man zuviel fernsehen oder naschen? Die Eltern wollen ja wieder nur ihre Macht durchsetzen. Als Pubertierende/r merkt man dann schon, dass die Eltern da oder dort Probleme haben, sich durchzusetzen, also leben sie dies bei den Kindern aus…


Und schon sind sie da, die ersten Erfahrungen mit den negativen Seiten der Macht.


Was aber wäre, wenn Macht einen für alle Menschen gleichen Kern besäße? Ich nenne diesen Kern, die Basis, den Samen für alle Macht und vor allem das Streben danach einfach einmal nur “Gestaltungswillen”. Ein Mensch hat eine Idee und ist der Meinung, andere müssen dies auch genau so machen oder leben. Damit man dies durchsetzen kann, benötigt der Mensch dazu eine wesentliche Zutat: Die Macht.


Die Macht und der Gestaltungswille sind also ein ungleiches Geschwisterpaar, die untrennbar zueinander gehören.


Ja diese Geschwister haben sich im Laufe der Zeit in ihrer Wahrnehmung sogar voneinander weit entfernt. Die Macht ist auf die dunkle Seite gewandert. Unmenschliche Regime, Vorgesetzte, frustrierte Beamte, Lehrer, Eltern, Polizisten, Politiker… alle leben sie diese Geilheit nach Macht im Rahmen ihrer Möglichkeiten aus. Man erlebt sie als jene Menschen, die alles nur zu ihrem Vorteil tun, die korrupt oder unbefriedigt einem ihrer Willkür aussetzen und es genießen, wenn man leidet. Weil ohnehin klar ist, “dieser Mensch lebt bloß seine Machtgeilheit aus”.


Der Satz geht so einfach von den Lippen wie auch “Noch ein stilles Mineralwasser” beim Würstelstand ausgesprochen wird. So unschuldig, da jeder weiß, dass Beamte korrupt und/oder frustriert sind, Politiker sowieso eogistisch, machtgeil und korrupt und die Eltern können sich in der Arbeit nicht durchsetzen, also leben sie es an ihren eigenen Kindern aus.


Aber ist das wirklich so?


Nehmen wir als Anschauungsobjekt den Klassiker des “korrupten, machtgeilen Politikers” - auch gerne in der männlichen Form - her. Er macht alles bloß zum eigenen privaten Vorteil, soviel sollte jedem klar sein. Das ist auch den meisten Menschen in irgend einer Form klar.

Aber was war der Weg für diesen Politiker um dort anzulagen, wo man ihn soeben treffsicher verortet hat?


Ich war selbst einige Jahre in der Politik aktiv, daher traue ich mich hier mitreden. Und ich muss ehrlich sagen, die allermeisten Politiker, die ich damals kennengelernt hatte, waren Idealisten, die einst mit einer Idee einer besseren Welt in der Lokalpolitik angefangen hatten. Und ich behaupte, dass die Meisten sogar noch wissen, was ihre Idee war, als sie in die Politik gegangen sind. Und ich behaupte weiter, dass sie immer noch diese Ziele hochhalten. Hochhalten alleine führt aber noch lange nicht zum Ziel.


Wenn ich mit einem Ziel, einer Idealvorstellung wie die Welt sein sollte, in die Politik gehe, dann ist das primär einmal schön und eine schöne Idee. Ich muss zuerst im eigenen kleinen Umfeld für meine Idee werben, Mitstreiter suchen und gewinnen. Denn allein hört einem niemand zu. Für ein größeres Auditorium benötigt man schon einmal den Support einer kleineren Gruppe. Man muss “es schaffen”, dass man in den Mündern der Kollegenschaft ankommt. Man muss viel intern für seine Ideen werben, sich dem Wettbewerb der Ideen stellen und hoffen, dass die eigene Idee genügend Strahlkraft hat, um eine kritische Masse an Menschen hinter sich zu vereinen. Nur so bekommt man das notwendige Gehör eines noch größeren Auditoriums. So geht man dann Stufe für Stufe mit seinen Ideen die Leiter nach oben um noch mehr Menschen als Mitstreiter oder zumindest Supporter für seine Idee zu gewinnen.


Bis irgendwann im besten Falle der Punkt kommt, wo man eingeladen wird, an der Gestaltung einer Idee in Form einer Regierungsbeteiligung teilzunehmen oder gar federführend mitzuarbeiten.

Jetzt ist der Punkt da, wo der Ursprüngliche Kern, der Gestaltungswille, die Macht an seine Seite bekommt um der Idee Form und Körper zu geben. Kritiker (persönliche, oder jene der Idee) kommen sicher spätestens jetzt zum Entschluss, man sei bloß von der “Machtgeilheit” getrieben. Aber ist das wirklich schon Machtgeilheit? Ich behaupte entschieden “nein”.

Ich benötige schon ein durchaus merkbare Zuneigung zur “Macht”, wenn ich eine starke Idee habe, von der ich der Meinung bin, die Idee brächte vielen Menschen mehr von dem, was sie “eigentlich” wollen.


Eine starke Idee, wo sich der Ideenträger genau in dem Moment zurückzieht, wo es an die Umsetzung geht, zählt genau nichts. Sie wird nie das Licht der Welt erblicken. Ein ausgeprägter Wille zur Macht ohne Idee, Plan und Ziel führt unweigerlich früher oder später in die Katastrophe - sofern nicht doch noch eine Idee am Weg aufkeimt.


Ich habe in meiner politisch aktiven Zeit das Glück gehabt die Diskussionen über eine Regierungsbeteiligung live miterleben zu dürfen. Denen im Verhandlungsteam wurde genau diese “Machtgeilheit” vorgeworfen. Sie würden nicht auf die Basis hören, “ihr Ding durchziehen”, und überhaupt hätte die Partei in der Regierung nichts verloren. An dem Punkt stellte ich damals die Frage: “Wenn wir als Partei, die wir seit vielen Jahren für unsere Ideen kämpfen, uns von Wahlkampf zu Wahlkampf, von Ausschusssitzung zu Parlamentsplenum durchkämpfen um die Menschen zu erreichen, und jetzt, wo wir die Möglichkeit haben, diese Idee in für alle gültige Gesetze zu gießen, umfallen, weil “Machtgeilheit” nicht angesagt ist, dann können wir gleich unser gesamtes politisches Agieren einstellen, die Partei auflösen und schweigend heimgehen.

Das Verhandlerteam hat versucht - im demokratischen Sinne - einen Kompromiss, ein Regierungsprogramm zusammenzustellen, herauszuverhandeln und dann der Basis zur Abstimmung vorzulegen. Sie traten so häufig wie möglich in Kontakt mit der Basis. Aber sie hatten eine “repräsentative Aufgabe” und in einer nicht-basisdemokratischen Struktur eine Verhandlungsposition. Das benötigt Vertrauen auf vielen Seiten.


Jene, die damals riefen “Machtgeilheit”, verorteten diese beim Verhandlungsteam. Aber sie sahen sich selbst nicht vertreten. Sie wollten es “SO nicht”, sondern gut wäre gewesen, wenn die Verhandler es genauso gemacht hätten, wie die Kritiker es gewollt hätten. Ich sehe heute die Machtgeilheit durchaus auf der Seite der Kritiker angesiedelt. Aber da man die Machtgeilheit ja ablehnt, kann man es selber doch gar nicht sein…


Anhand eines anderen Beispiels möchte ich gerne die Gier nach Macht als krankhaften Auswuchs des Menschlichen Seins erörtern. Ein Mensch geht mit seiner Idee auf einen Karrierepfad. Die Idee mag groß sein, oder sehr bescheiden… für diesen Menschen reicht sie als Antrieb so sehr aus, dass dieser Mensch ein Leben lang dieser Idee widmen wird. Es gelingt dem Menschen auch das eine oder andere umzusetzen, an Positionen zu gelangen, wo er sagt, und anderen führen aus. Der Mensch findet gefallen an dem Tun. Der Mensch finden so sehr gefallen daran, dass seine Mitstreiter oder Befehlsempfänger alles ausführen, was er anschafft… und es steigt diesem Menschen zu Kopf. Diese Selbstwirksamkeit nimmt üble Ausmaße an und der Machthaber findet so sehr Gefallen daran, dass er immer absurdere Ideen versucht umzusetzen. Das kann bis zum Auslöschen ganzer Bevölkerungsgruppen gehen. Das ist definitiv dann die “dunkle Seite der Macht”.


Es gab schon Zeiten bei uns als Menschheit, wo sich Völker Regeln verpassten, wo die Macht nur zu geteilter Hand ausgeführt werden konnte. Um solchen Machtmissbrauch auszuführen. Und hier ist ein wichtiges Wort in der Geschichte aufgetaucht. Das was viele Menschen als die negativ konnotierte “Macht” im Kopf tragen, ist eigentlich nur die missbrauchte Macht. Und auch hier ist es nur der äußerst starke Gestaltungswille, der an einem hässlichen Tumor erkrankt ist und wächst und wächst und wächst.


Macht ist in erster Linie einmal nur das “Vermögen” den eigenen Gestaltungswillen durch- und umzusetzen. Andere anerkennen die Befehlsgewalt von einem selbst oder der Organisation die sich die Macht teilt. Darum heißt es auch Staatsmacht oder Staatsgewalt. Es wird mit der Anerkennung von genügend vielen im Staatsvolk ein Wille durchgesetzt, auch wenn er gegen den Willen von einzelnen ist. So muss man im Ortsgebiet 50km/h fahren, darf keine Bank überfallen oder Menschen, die einem nicht zu Gesicht stehen, töten. Man muss Steuern zahlen und ist in der Bebauung des eigenen Grundstückes eingeschränkt. Das ist alles die Staatsmacht. Manche empfinden diese als missbrauchte Macht, andere sind froh, dass es diese Regeln gibt und auch durchgesetzt werden. Und ob es nun die helle Seite der Macht ist, oder die dunkle Seite hängt auch nur davon ab, ob man selbst auf die Macht leuchtet oder gerade zufällig auf die beleuchtete oder unbeleuchtete Seite hinblickt. Wo man im Moment seinen Standpunkt hat, von dem man aus die Welt betrachtet.