Gekommen, um zu bleiben ...

... wie ich in's Fediverse kam und warum das keine Alternative zur Voliere ist ...

Nunja …

Die Kirschen über dem Zaun sind immer saftiger … neue Ufer immer besser.

Wirklich?

Sie sind anders.

Wie viele von Euch bin ich auch in der Voliere aktiv, [1] für mich war sie nur ein Ausgleich vom Alltag, ein intellektueller “Workout”, etwas, wo ich mit Menschen interagieren und mich austauschen konnte, die aus meinem realen Umfeld [2] herausstachen und … ich konnte anspruchsvoll blödeln.

Weiterhin hatte es den Vorteil, dass man das Handy einfach weglegen oder den Rechner ausmachen konnte, wenn einem etwas zuviel wurde oder … das Real Life die Aufmerksamkeit verlangte. Es war sehr erholsam.

Es war also einfach ein Zeitvertreib. Nicht selten blieb bei der Arbeit ein Fenster zum Vogelkäfig offen, wenn man sich in der Arbeit (ich bin Informatiker) verrannt hatte, in einer Sackgasse steckte, dann waren 10 Minuten Gezwitscher etwas, was einen wieder aufgleiste.

Hinzu kam, dass man kein schlechtes Gewissen haben musste, wenn man sich wieder zurückzog. Ich hatte mir auch angewöhnt, (eine Erfahrung aus gut 40 Jahren Onlineaktivität) dass das digitale Leben für mich nur eine untergeordnete Rolle spielte. Menschen im Netz sind sehr oft nicht so, wie im realen Leben. Demzufolge beschloss ich irgendwann, dass diejenigen, die ich über das Netz real kennenlernte, einen höheren Bonus bei mir hatten, als diejenigen, die nur “virtuell vorhanden” waren. So was relativiert vieles und erdet ungemein.

Und was hat das jetzt mit dem Fediverse zu tun …?

Stimmt. Ich schweife ab. Back to topic.

Wie ich sagte, ich bin Informatiker. 2016 kam die Meldung, das Eugen Rochko einen Mikroblogging-Dienst entwickelt hatte, der Open-Source und eben “anders” war. Das interessierte mich, zu mal ich als “Linuxer” eh ein Freund von unkonventionellen Lösungen war.

Also angemeldet …

Anfänglich sah alles sehr gewohnt aus. Beiträge trudelten ein, allerdings auf drei verschiedenen Timelines, die ich irgendwie nicht einordnen konnte. (s. hierzu: “Hier ist alles doof …”). Ich fand keinen Bezug … und wie kam man hier an Nutzer, denen man folgen konnte?

Also stellte ich Fragen.

Die ersten Antworten die von den Nutzern kamen, waren eher arrogant, ich solle googlen … sowas findet man im Netz, usw.

Na Dankeschön.

Und schon war mein Interesse wieder erloschen.

Es verging einige Zeit, dann nahm ich einen zweiten Anlauf. Natürlich hatte ich zwischenzeitlich die allwissende Müllhalde[3] befragt und auch Antworten zu meinen anfänglichen Fragen erhalten. Also wissensgestärkt wieder rein.

Und ich war überrascht. Die Community hatte sich verändert. Jetzt gestellte Fragen wurden nicht mehr “abgewatscht”, es wurde geholfen … geduldig und auch effektiv. Das gefiel mir. Meine Skills wuchsen und … bald konnte auch ich Fragen beantworten.

Die Community bestand nicht mehr ausschließlich aus Nerds, die jeden eindringenden Noob als Endgegner betrachteten, es fanden sich Zirkel von themeninteressierten Nutzern, die sich gegenseitig folgten und so kleine aber durchlässige Blasen schufen.

Es gab Hashtags, die für Neuankömmlinge empfohlen wurden (#neuhier, #neuhierfragen und #askfedi als Beispiel), einige Accounts hatten es sich sogar zur Aufgabe gemacht, sich ausschließlich um Neuankömmlinge zu kümmern und sie zu coachen. Das gefiel mir noch besser.

Und so begann ich, einer von diesen Accounts zu werden. Und das machte Spaß.

Und es gab noch etwas: Etwas fehlte.

Als ich damals den Vogelkäfig betrat, dauerte es keine 3 Tage bis die ersten sich bemüßigt fühlten, mir das Leben zu erklären oder mich um Rechtfertigung zu ersuchen, warum ich diesem oder jenem folgte. Ausserdem tummelten sich dort Accounts, deren politische Äußerungen nicht mal einer Antwort wert waren, garniert mit Accounts, deren bildungstechnisches Niveau drei Meter unter Toastbrot lag. Ja … ihr wisst, wen ich meine.

So was gab es hier nicht.

Ich hatte hier auch niemanden blocken müssen. Und selbst wenn, selbst das Blocken war hier anders: In der Voliere wurde das Blocken nur auf den einzelnen Account umgesetzt. Gab er sich einen zweiten Account, dann war er wieder da. Also wurde erneut geblockt.

Im Fediverse wurde der Block - ähnlich einer Meldung - auch den Administratoren mitgeteilt. Nahm das überhand, konnten serverseitig Maßnahmen getroffen werden. Ebenso war es dem einzelnen User möglich, ganze Domains zu blocken, von denen aus schwerpunktmäßig Spammer, Bots oder politisch radikale Accounts agierten “How to block domains …”. Die Listen werden von Administratoren fortlaufend angepasst.

Ebenso einfach war es, über “Einstellungen/Importieren und exportieren” Listen der Accounts zu erstellen, denen man folgte und die man anderen zur Verfügung stellen konnte. So bekam man sehr schnell eine florierende Home-TL zusammen, die man weiter anpassen konnte (nicht jeder importierte Account war vielleicht der eigene Geschmack). Da die importierten Listen nicht die existierende überschrieben (es sei denn, man wollte es) wurden sie beim Import angehängt und ergänzten den Bestand.

Diesen Umstand machten sich Themengruppen zunutze, die Accountlisten teilten, die vornehmlich in ihrer Thematik aktiv waren (Linuxer, spezielle Erkrankungen, Gamer, Kakteenzüchter, Sportanbeter, usw.).

Das begeisterte mich.

Und das war noch nicht alles.

Das Fediverse (ein Kompositum aus “Federated” und “Universe”) war nicht nur auf den Microblogging-Kosmos mit seinen Instanzen beschränkt. Es gab eine “Instagram-Variante” (Pixelfed), ein eigenes Youtube (Peertube) und vieles mehr. Der Vorteil dabei war, das man alle miteinander verbinden konnte. Man legte sich auf einer Instanz eines Dienstes (ja, auch hier gab es nicht nur eine) einen Account an und folgte diesem von z.B. seinem Mastodon-Account. Möglich war es auch, alle Accounts miteinander zu verbinden.

(Leseratten empfehle ich z.B. BookWyrm)

Und so ergibt sich im Fediverse folgendes Bild: alt text

Möglich wurde das durch das “Activity Pub - Protokoll”.

Also …?

Mich hatte das Fediverse überzeugt. Anfängliche Kinderkrankheiten wurden schnell beseitigt, neue Probleme zeitnahe angegangen. Aus wenigen Instanzen wurden viele.

Und das ist auch einer der Pferdefüße des Fediverse: Persistenz.

Viele Hobby-Admins legten neue Instanzen an, maintainten diese und betrieben sie mit Eifer. Und wenn sie selbst nicht professionelle Betreiber eines Servers waren, die Betriebskosten anderweitig kompensieren konnten, fraßen Kosten für Hardware, für Traffic und natürlich die eigene Zeit diese Projekte wieder auf. Und so entstand der Rush auf die großen Instanzen, die praktisch auch das Urgestein sind (z.B. mastobon.social), was bei diesen zu extremen Problemen führte (“503-Fehler” und lange Wartezeiten) nur als Beispiel.

Weiterhin …

… kursiert in der “anderen Welt” noch immer die Meinung, dass Mastodon eine Twitter-Alternative ist. Ist es nicht und wollte es nie sein. Nur wird es so beworben.

Deshalb kommen viele Twitter-Nutzer nach einem neuen Eklat in der Voliere auf die Instanzen und gehen davo aus, sie finden hier vor, was sie verließen. Und … sie könnten sich so auch hier produzieren (wohlgemerkt, nicht alle).

Es ist hier gerade so erholsam, #weil# es eben nicht Twitter ist. Mit jeder neuen Migrationswelle begann auch ein Flooding mit Screenshots aus dem Vogelkäfig oder - was schlimmer ist - spamming über Crossposting-Apps: jeder “drüben” gepostete Tweet erschien auch im Fediverse, was zu einer massiven Welle des Blockens dieser Accounts und zum updaten der Filter führte.

Niemand hier wollte das.

Und #das# ist auch die einzige Regel, die es hier gibt: #“Fall anderen nicht auf den Keks”.

Was in der Voliere geschieht, bleibt in der Voliere, keiner will hier Accounts lesen, die er drüben schon geblockt hat. Natürlich sind Dinge, wie die Eskapaden des neuen Eigentümers, mit denen er sein neues Unternehmen mit Anlauf in die Tonne navigiert, im Fediverse im Trend … aber nicht Beiträge, in denen sich Alphakevin mal wieder öffentlich zum Nappel macht … oder Trixi17 über sonstwelche Gruppierungen herzieht.

Gerade weil mich so etwas mehr aufregt, als amüsiert bin ich hier … und drüben nur noch sporadisch.

Fazit …

Ich bin hier, weil es für mich kein Ersatz ist, weil ich hier Menschen kennengelernt habe, die ich mag und die ich gerne lese …

… weil es für mich eine Bereicherung ist, etwas zusätzliches.

Und deshalb …

… bleibe ich auch.

Sincerely …

~ Isegrimm ~


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[1] *Naja ... immer mal wieder ...*

[2] Schreiber dieser Zeilen ist gebürtiger Berliner und “Immi” im ländlichen Rheinland, wo die Themen auf Fußball, Schützenfeste und Kirche beschränkt sind.

[3] Google