Hast du mal eben eine Utopie für mich?

Wie der Nichtort uns helfen kann, eine gerechtere Welt zu schaffen

Die Krisen häufen sich. Gerade als wir die Corona-Krise unter Kontrolle glaubten (ein Trugschluss wohlgemerkt), steht der Ukrainekrieg vor der Türe. Zusätzlich schießt die Inflationsrate in die Höhe, sodass Millionen von Menschen hungern und frieren müssen. Burnouts nehmen zu, die mentale Gesundheit verschlechtert sich sowieso zunehmend. SchülerInnen fühlen sich unvorbereitet auf Ihre Zukunft, ArbeiterInnen stellen sich darauf ein ohne Rente überleben zu müssen und RentnerInnen werden immer weiter ausgegrenzt. Unterstrichen wird all dies von der schon Jahrzehnte andauernden Klimakriese. Betrachtet man dieses Wrack einer Gesellschaft wird schnell klar: wir müssen etwas ändern. Und das bald. Obwohl das eine wertvolle Erkenntnis ist, bringt sie uns leider überhaupt nicht weiter. Denn was genau geändert werden muss, und wie es geändert werden sollte bleibt unklar. Genau diesem Problem schaffen Utopien Abhilfe. Zunächst jedoch sollte festgelegt werden, was genau eine Utopie denn ist.

Das Wort Utopie setzt sich zusammen aus dem griechischen “ou” = nicht und “tòpos” = Ort, eine Utopie ist also ein Nichtort. Dennoch stellten sich SeefahrerInnen vor schon vor hunderten Jahren vor, sie könnten Utopia finden, wenn sie nur lange genug suchten. Dank unseren Satteliten wissen wir heutzutage, dass es keine unentdeckte Insel gibt auf der alle Probleme vergessen sind. Wir können nicht mal eben in die Utopie rüber segeln. Vielmehr ist die Vorstellung der Utopie zu ihrer früheren Bedeutung zurückgekehrt: Die Utopie ist kein Ort, sondern eine Vorstellung von einer idealen, perfekten Welt. Das wichtigste ist, dass einer Utopie der Weg dorthin egal ist. Sie beschreibt den Ist-Zustand in der Zukunft (oder einem Paralleluniversum, oder oder oder) und blendet unsere erlebte Realität aus. Der Duden definiert eine Utopie als “undurchführbar erscheinender Plan; Idee ohne reale Grundlage”.

Ein logischer Denkschluss könnte es nun sein, Utopien als nutzlos abzustempeln, in eine mentale Schublade zu stecken und diese nie wieder zu öffnen. Schließlich haben wir genügend andere Probleme und können uns nicht noch zusätzlich um eine hypothetische Utopie kümmern. Genau dieses Verhalten konnte ich zumindest immer häufiger beobachten - Menschen wollen konkrete Lösungen, keine realitätsfernen Spielereien. Allerdings wird häufig übersehen, dass eben diese kritisierte realitätsferne der Utopien auch ihre Stärke ist. Denn sie zeigen uns, wo wir hin wollen. Sie malt unser Ziel und schafft Hoffnung. Sie gibt uns etwas, an dem wir uns festhalten können und für das wir eintreten können. Die Kreativität wird weitaus mehr angeregt, wenn wir für etwas (die Utopie) sind, als wenn wir bloß gegen etwas (das System) sind. Außerdem können spannende Konzepte entstehen, wenn wir die Realität kurz ausblenden - wer hätte vor hundert Jahren gedacht, dass wir mal Flugzeuge bauen können? Ein paar Träumer träumten vom Fliegen, die Umsetzung folgte später.

Eine Utopie zu haben kann auch einige ganz konkrete Vorteile haben. Je spezifischer diese Utopie ist, desto bedeutender werden diese. Einerseits kann die Utopie mit unserer Lebensrealität verglichen werden. Ähnlichkeiten und Unterschiede werden herausgestellt, und wir sehen konkrete Angriffspunkte für Maßnahmen. Andererseits können wir uns in Entscheidungssituationen in die utopische Welt hineinversetzen und so entscheiden, als ob wir bereits in der Utopie leben. Dadurch ebnen wir nicht nur den Weg hin zur Utopie und schaffen nachhaltig ein Umdenken in der Gesellschaft, sondern schaffen auch immer mehr kleine Utopien im aktuellen System. An diesen können wir erproben, ob utopische Konzepte wirklich so funktionieren wie wir sie sie uns vorstellen. Gegebenenfalls müssen wir unsere Utopie dann ein wenig abändern, weil wir ein entscheidendes Detail übersehen haben oder ein tolles Konzept noch gar nicht in Betracht gezogen haben.

Schlussendlich sind Utopien also doch bloß Mittel zum Zweck - Orientierungspunkte um Entscheidungen treffen zu können die uns einem Ziel näher bringen. Vielleicht werden wir die Utopie nie erreichen, genau so wie 0.9999999999… niemals 1 wird, aber wir können immer näher ran kommen. Und allein die Aussicht auf einen Hoffnungsschimmer am Ende des Tunnels sollte doch Grund genug sein, eine Utopie zu schaffen. Deshalb möchte ich alle LeserInnen herzlich dazu einladen, gemeinsam eine Utopie zu schaffen. Inspiriert durch http://www.seesharppress.com/utopia.html möchte ich mich an Fragen entlang hangeln und das Bild einer befreiteren, friedlicheren und gerechteren Gesellschaft zeichnen. Ich freue mich auf alle Debatten, die im Zuge dessen entstehen werden. Hoffentlich kommen wir Schritt für Schritt einer ausgeklügelten Utopie näher und möglicherweise können wir uns sogar auf einige Aspekte einigen und gemeinsam auf die Umsetzung dieser Hinarbeiten!