Pass auf, ich erzähle dir mal eine Geschichte. Ich habe einen Sohn. Dem haben wir von Geburt an erzählt, dass er ein Mädchen sei. Haben ihm einen Mädchennamen gegeben, ihn in Mädchenkleidung gesteckt, ihm Mädchenspielzeug gekauft, und ihm niedliche Spangen ins Haar gesteckt. Obwohl er immer wieder gesagt hat, dass er ein Junge sei, sobald er sich dazu äußern konnte, haben das alle abgestritten. Die ganze Familie, seine Freundinnen und Freunde, die Erzieherinnen in der Kita, die Lehrerinnen und Lehrer, der Kinderarzt, sogar sein eigener kleiner Körper.
Weil wir allesamt dumm waren, haben wir Druck auf ihn aufgebaut, bis er beinahe zerbrochen wäre. Irgendwann haben wir verstanden, dass es so nicht funktioniert. Wir haben uns von verständnisvollen GeschlechterexpertInnen beraten lassen, und gemeinsam einen Weg eingeschlagen, der nicht immer einfach war, aber längst nicht so schwer wie anfangs befürchtet. Wir haben ihn anziehen lassen, was er will. Wir haben nicht mehr seinen verhassten Mädchennamen benutzt, sondern gemeinsam einen besseren ausgesucht, und vor Gericht in einem unnötig anstrengenden Verfahren offiziell werden lassen. Unser Land macht es einem nicht gerade leicht, wenn man aus Versehen mit den falschen Geschlechtsteilen geboren wurde, aber immerhin geht das hier irgendwie. Wir haben eingewilligt, ihm seine ungewollt sprießenden Brüstchen weg operieren zu lassen. Klingt erst mal krass, und wir haben viel darüber geredet. Der Tag der Operation war einer der glücklichsten in seinem Leben.
Aber der für ihn belastendste Teil der Transformation ist nicht an ihm vollzogen worden, sondern an uns. Für ihn war der Fall immer klar; es war lediglich eine Korrektur von Äußerlichkeiten. Wer sich mental transformieren musste, waren wir. Seine Eltern, die ganze Familie, seine FreundInnen, die LehrerInnen, seine MitschülerInnen, der Kinderarzt. Und auch das hat nach gewissen Anlaufschwierigkeiten ganz gut funktioniert.
Happy End? Ja, aber mit Einschränkungen. Wir können nur hoffen, dass ihn die Fehler, die wir anfangs gemacht haben, die Schäden, die wir vielleicht damit angerichtet haben, nicht mehr lange belasten. Außerdem gibt es immer noch Menschen, die diese Geschichte nicht glauben wollen. Die ihn am liebsten immer noch in Frauenkleider stecken wollen, und in ihm eine “Gefahr für die Gesellschaft” sehen. Keine Ahnung, was in diesen Menschen vorgeht, aber es sind viele. Wie geht es ihm wohl damit? Er redet nicht viel darüber. Für ihn ist das insgesamt keine große Sache. Er ist jetzt da, wo er hin wollte. Nicht nötig, viel Wirbel darum zu machen. Er ist ja ein ganz normaler, trans normaler Mensch, kein seltenes Tierchen, das unter Artenschutz gestellt werden muss.
Aber es ist ein Irrtum zu glauben, dass einmal erkämpftes Recht für immer bleibt. Man muss stets bereit sein, seine guten Rechte zu verteidigen. Das weiß er. Und er weiß, dass es Menschen gibt, die Rechte für Privilegien halten, und Privilegien für verzichtbar, solange es nicht die eigenen sind. Er hält Augen und Ohren offen, die Sinne geschärft. So wie wir, denn er ist unser Sohn, und es ist unser Streben, ihn so lange und so gut wie möglich zu beschützen.
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